Karl XVIII. von Nordstein
Vorsichtig schlich Theobalt durch die schlichten Gänge der kleinen Burg. Warum er so etwas Verrücktes tat, wusste er auch nicht genau. - Aber er musste es wissen! Beschlagnahmte der König tatsächlich alles, oder war er wirklich so arm, wie er vorgab? Nun ja, zumindest für einen König arm. Wahrscheinlich sollte man nicht das selbe Wort für einen Menschen, der auf der Straße lebte und einen König, der in einer kleinen Burg wohnte, verwenden.
An den Gemächern angelangt, schaute sich Theobalt nervös um und huschte dann durch die Tür. Der Raum dahinter erwies sich als unerwartet groß und war mit kunstvollen Wandgemälden ausgeschmückt. Auf dem Boden lag ein weicher grüner Teppich, der zur ebenfalls grünen Bettwäsche passte. Das große Bett stand in der Ecke und konnte durch Vorhänge vom Rest des Raumes (oder des Saales) abgetrennt werden. So viel zumindest zu dem „armen“ König Karl XVIII. von Nordstein. Theobalt schüttelte verbittert den Kopf. Also behielt der König den Reichtum, den die Stadt eigentlich durch den Handel erhalten sollte. Seinen Untertanen erzählte er natürlich nicht die Wahrheit. Stattdessen behauptete er, dass die anderen Städte den Handel mit ihnen abbrachen und die Waren behielten. Aber beim Anblick des prächtigen Zimmers wurde Theobalt sofort klar, dass das nicht stimmen konnte. Zutiefst erschüttert stellte er fest, dass er sich schleunigst aus dem Zimmer entfernen sollte, wenn er nicht entdeckt und des Diebstahls angeklagt werden wollte. Ohne Zwischenfälle, jedoch vollkommen verschwitzt, kam Theobalt aus der Burg, von wo aus er sich schnell aber möglichst unauffällig in Richtung seines Hauses begab. Und als er an seinem Ziel angelangt war, wusste er auch schon, dass er dringend etwas unternehmen musste.
Und zwei Wochen später wusste er auch, was. Er traf sich mit seinen Freunden und vielen anderen Dorfbewohnern und berichtete ihnen von der wahren Natur des Königs. Da sich Karl XVIII. nie darum bemüht hatte, bei seinen Untertanen beliebt zu sein, und viele Dorfbewohner schon geahnt hatten, was Theobalt ihnen nun erzählte, war es für ihn nicht schwer, die Leute für sich zu gewinnen.
Innerhalb von zwei Tagen hatte er einen kleinen Aufstand angezettelt. Wie vereinbart trafen sich die Aufständischen auf dem Marktplatz. Allerdings war keineswegs verabredet worden, dass sie sich mit Mistgabeln oder ähnlichen Werkzeugen bewaffnen sollten. Theobalt wurde übel, als er die wütenden Bauern und Handwerker mit den Waffen sah. Sollte er etwa zu einem sinnlosen Gemetzel angestiftet haben, statt zu einem ordentlichen Aufstand? Bevor er mit den Leuten sprechen konnte, kamen Soldaten die Straße zum Marktplatz hinunter marschiert, zutiefst beunruhigt von den bewaffneten Bauern. Und diese gaben sich keineswegs Mühe, diese Beunruhigung zu lindern. Sie taten genau das Gegenteil, indem sie die Waffen in Richtung der Soldaten streckten.
Nun sah Theobalt, der in der ersten Reihe stand, auch den König, der auf einem kleinen braunen Pferd mit einigen Soldaten vorritt. In einigem Abstand zu seinen Untertanen hielt er an und fragte genervt: „Was ist hier los?“ Plötzlich wurde Theobalt von den Anderen nach vorne geschoben. „Sag du’s ihm!“ Er hatte zwar nicht vorgehabt für alle zu sprechen, aber vielleicht könnte er so unnötiges Blutvergießen vermeiden. Also blickte er dem König direkt in die Augen und sagte: „Du bist ein schlechter König.“ Zugegebenermaßen war das nicht das Einfallsreichste, was man hätte sagen können, aber es zeigte Wirkung: Der Angesprochene war total überrascht, dass ein Bauer ihn so offen beleidigte. Fehlte nur noch der offene Mund in dem ansonsten überaus überraschten Gesicht! Doch Karl XVIII. fing sich schnell wieder und antwortete mit feindseliger Stimme: „Wie kannst du es wagen, mich, den gottgewollten Herrscher dieser Stadt so zu beleidigen!?“, und an seine Soldaten gewandt: „Nehmt diese dreckige Made fest!“
Innerhalb von Sekunden war Theobalt von Menschen umringt und wurde zu Boden geworfen. Die erwarteten Tritte und Schläge blieben jedoch aus und als Theo um sich guckte, stürtzten sich die Bauern mit ihren Mistgabeln auf die Soldaten. Er sprang auf und suchte nach dem König. Dieser stand mit seinen Leibwächtern am Rande des Marktplatzes und schaute dem Kampf amüsiert zu. Theobalt rannte durch die Kämpfenden auf den Brunnen in der Mitte des Platzes zu und kletterte auf die Spitze. Aber das Beste, was ihm einfiel, war ein lautes „STOPP“. Überraschenderweise hörten fast alle auf zu kämpfen und blickten ihn erwartungsvoll an.
Theobalt suchte nach Worten, doch von einem Moment auf den anderen wusste er, was er sagen sollte und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus: „Ich sage es noch einmal: Unser König ist kein rechter König! Statt sich um sein Volk zu kümmern und sich um uns zu sorgen, nimmt er uns noch das letzte Hemd! Während wir nicht genug zu essen haben, häuft er seinen Reichtum an. Viele von euch werden sich wohl fragen, woher ich, ein dahergelaufener Bauer, so genau weiß, dass König Karl uns betrügt. Nun ja, die Antwort ist: Ich war in den Königlichen Gemächern.“
„Er lügt!“, schrie Karl XVIII mit zornesrotem Gesicht, „Dieser Hochstapler will nur mein Amt stehlen! Nehmt ihn fest!“ Die Soldaten fingen an zu tuscheln oder zeigten auf einmal erstaunliches Interesse für ihre Füße, doch niemand machte auch nur einen Schritt auf den Brunnen zu. Die Dorfbewohner rannten auf den König zu und zerrten ihn zu dem Brunnen, wobei sie lautstark ihre Meinung über den König preisgaben und ihr Geld zurückverlangten. Nach kurzer Zeit machten auch einige Soldaten mit, während der Rest immer noch seine Füße bewunderte. Am Brunnen angelangt, warfen die aufgebrachten Dorfbewohner und Soldaten Karl XVIII in den Brunnen und verspotteten ihren Herrscher. Dieser versuchte klitschnass und mit hochrotem Gesicht aus seinem nassen Gefängnis zu gelangen, doch er wurde immer wieder von den Umstehenden zurückgestoßen und ausgelacht. Theobalt, der immer noch auf der Spitze des Brunnens stand, räusperte sich und erhob seine Stimme wieder über die lärmende Menschenmenge: „Also König Karl XVIII von Nordstein: Wirst du das Geld,das rechtmäßig dem Volk gehört, zurückgeben? Oder möchtest du herausfinden, wie angenehm es ist in einem Brunnen zu übernachten?“
Der durchnässte König sah ihn wütend an und sagte dann: „Hey Theodor, wach auf! Mathe fängt gleich an!“
12 Jahre