Das Mädchen, das ihren Großvater auferstehen ließ

 

Anne liebte ihren  Großvater. Als sie noch  klein  war, hatte er ihr ein  Holzpferd  geschnitzt.  Das  fand  das Mädchen  richtig schön. Ihr Großvater hatte immer zu ihr gesagt: “Schatz, ich werde dich  nie  vergessen. Glaubst Du mir das?“ „Ja.“  hatte  sie  geantwortet. 

 

Nun  stand   sie vor  seinem  Grabstein  und  weinte.  Klar,  ihr Opa  war  schon längst  tot, aber  sie hatte  ihn  nie  vergessen.  Anne  wusste  auch,  dass  es  nie  wieder  so sein  würde  wie  früher. Das  machte sie noch viel  trauriger. Sie legte  ein  paar  Tulpen  auf  den  Grabstein und  wollte  gehen,  als  plötzlich eine bekannte Stimme  nach  ihr  rief: „Anne!  Anne warte doch!“ 

 

Verdammt.  Diese Stimme  kannte sie doch…Das konnte nicht sein…Anne  drehte  sich  schnell  um  und   schrie  laut  auf:  Vor ihr stand Großvater. Mehr bekam sie nicht mit, denn  sie fiel in Ohnmacht. Als sie wieder aufwachte,  lag sie auf  ihrem  Bett.  Hatte  sie  das  alles  nur  geträumt  oder  war das tatsächlich  ihr  Großvater?

 

Bestimmt  war es nur ein sehr realistischer Traum und  auf  dem  Friedhof  war  sie auch nicht. Anne  schaute  auf  ihren  Kalender: Der  Tod  ihres Großvaters  war 2  Monate  her  und   es  konnte  nicht  sein , dass er noch lebte. Sie  hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er tot in der Küche umfiel.  Ihre Mutter ist dann gekommen, doch es war zu spät…  

 

Anne beschloss, nach unten zu gehen. Plötzlich kam ihr Großvater entgegen. Sie schrie vor Schreck laut auf , denn ihr wurde  klar, dass sie nicht geträumt hatte. Fast  wäre  Anne  wieder in Ohnmacht gefallen, wenn ihr Opa sie nicht mit Wasser vollgespritzt hätte. Danach  war sie hellwach und fragte:“Großvater,  wo  sind  meine Eltern?“. „Die sind nicht zu Hause. Ich weiß es nicht.“ erklärte  Opa. Anne seufzte „Ach, Großvater. Ich mache dir einen  Vorschlag. Wir trinken jetzt erst einmal eine Tasse Tee und dann erzählst du mir bitte, wie es sein kann, dass du noch lebst.“

 

Annes  Großvater  war  natürlich  sofort  einverstanden  und  sie kochten den Tee. Dann erzählte er: „ Erinnerst Du dich noch an Helmut Baßler?“  Sie dachte kurz nach: „War  das  nicht  einer  deiner  alten  Schulfreunde?“ Großvater  nickte und fragte:“Weißt  du  wo er  jetzt lebt?“. „ Nein, ich habe leider keine  Ahnung. Warum willst Du das denn wissen?“ Opa erklärte mit ernstem Gesichtsausdruck: „Wenn ich  ihn noch ein einziges Mal sehe, dann kann ich glücklich und zufrieden sterben. Du musst nämlich wissen, dass Helmut einer meiner besten Freunde war.“

 

Anne hörte ihrem Großvater gespannt zu und er erzählte:“ Ich habe noch etwas, das ich ihm unbedingt geben muss, vorher kann keine Ruhe finden. Es ist etwas sehr Altes und Wertvolles und er muss es unbedingt bekommen und zwar von mir.“ Anne fragte ihn, was sie jetzt tun sollten. Opa sagte, sie müssten jedes Altersheim in ihrer Nähe anrufen, um zu  fragen, ob dort ein Helmut Baßler  lebt. Er konnte sich nämlich daran erinnern, dass sein Freund vor ein paar Jahren in ein Heim gezogen ist.

 

Das war eine gute Idee, fand Anne. Also nahmen sie das Telefon und wählten alle Nummern, die sie finden konnten. Als sie schon  fast aufgegeben wollten, meldete sich plötzlich ein Altersheim namens „Zur roten Linde“. Schnell  fragte der Großvater nach Helmut Baßler. Dann sagte er: „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Auf Wiederhören.“ Glücklich lächelte er sie an, was wohl heißen sollte, dass Großvater Erfolg gehabt hatte.

 

Und tatsächlich: „Ich habe ihn gefunden! Helmut wohnt im Altersheim „Zur  roten Linde“. Die Frau vom Empfang hat mir auch die Adresse und seine Zimmernummer verraten: “Mandelbaumstraße 4, Zimmer 312.“ Anne freute sich:“ Das ist doch gar nicht  weit von uns entfernt. Wir brauchen nur eine halbe Stunde mit der Bahn.“ 

 

Dann fiel ihr aber etwas ein:“Opa, wir brauchen aber noch Geld für die Fahrkarten und mein Taschengeld habe ich leider schon ausgegeben als ich letzte Woche mit Julia im Kino war.  Wir können doch nicht die ganze Strecke laufen.“  Großvater  lächelte sie an:“ Das lass mal meine Sorge sein.“ und zog ein Bündel Geldscheine aus seiner Hosentasche hervor. Sie zogen sich schnell ihre Jacken an und liefen zum Bahnhof.

 

Annes Großvater kaufte eine Kinder-und eine Erwachsenenfahrkarte und schon  bald  stiegen die Beiden in den Zug. Dort spielten sie Schach. Das hatten sie früher auch immer  gespielt und Opa hatte das Spiel noch immer in seiner Tasche. Die anderen Fahrgäste wunderten sich, als der Großvater plötzlich „Schach  matt “ rief. Er hatte wieder einmal gewonnen.

 

Nach 7 Stationen stiegen die beiden aus. Sie brauchten nicht lange zu  suchen, denn das  Altersheim war nicht weit vom Bahnhof entfernt. Es war ein schönes helles Gebäude mit einem kleinen Park. Anne und ihr Großvater gingen hinein und fragten eine Pflegerin, ob sie Helmut besuchen dürfen. „ Natürlich, er wird sich bestimmt sehr freuen. Sie können gern mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock fahren.“

 

Aufgeregt liefen sie zum Fahrstuhl. Anne hielt ihren Großvater ganz fest an der Hand. Sie wusste, dass der Besuch sehr wichtig für ihn war. Dann kamen sie vor das Zimmer Nummer 312 und klopften an die Tür. Sie wurde geöffnet und da stand Helmut Baßler. Großvater und Helmi, so nannte Großvater Helmut umarmten sich fest. Dann holte er ein Päckchen aus seiner Tasche und reichte es Helmut. Anne schaute gespannt, wie er das Päckchen auspackte.

 

Hervor kam eine kleine Spieluhr aus Porzellan mit einem kleinen Vogel auf dem Deckel. Großvater erzählte ihr, dass sie von Helmuts Eltern war, die im zweiten Weltkrieg fliehen mussten und seiner Mutter die Uhr zum Aufbewahren gaben. Sie hatten Angst, dass sie auf der Flucht verloren gehen könnte denn sie war ein sehr altes Erbstück.

 

 

 

 

 

Jetzt konnte er sie Helmut zurückgeben und dieser konnte sie seinem Sohn weitervererben, so dass sie in der Familie bleiben würde. Helmut kamen vor Freude die Tränen und Anne freute sich mit ihm.

 

Plötzlich sah sie, dass ihr Großvater sich auflöste und schließlich verschwand. Er rief ihnen zu: „Leb wohl, Anne, leb wohl, Helmi. Meine  Arbeit  ist getan. Ich kann jetzt beruhigt  und zufrieden sterben. 

 

Anne fuhr ein wenig traurig und sehr nachdenklich nach Hause. Ihre  Eltern warteten schon auf sie: „ Wo warst du denn so lange Anne? Wir haben uns schon Sorgen um Dich gemacht“. Sie schaute sie lächelnd an: „ Ach, ich habe nur einen kleinen  Ausflug in die Vergangenheit gemacht.“