„Es ist Aus zwischen uns.“ Die Worte meines einstigen Freundes Ben hallten nach wie vor in meinen Ohren wider und ließen mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

 

Die Trennung war jetzt schon drei Tage her, aber ich war immer noch total am Boden zerstört und stand kurz vor einem Heulkrampf, sobald ich seinen Namen hörte, oder sonst irgendetwas, was mich an ihn erinnerte. Und das war leider Gottes sehr viel.                                                                                        

 

Schniefend packte ich auch das letzte Kuscheltier, was er mir in 3 Jahren Beziehung geschenkt hatte, in den Umzugskarton, den ich gestern aus dem Keller geholt hatte, um dort all unsere Erinnerungsstücke zu verstauen. Dann wollte ich ihn irgendwohin verbannen, wo ich nicht einfach so dran konnte, damit ich mich nicht selbst belügen konnte.

 

Nachdem ich nach einem tiefen Atemzug die Laschen der Kiste geschlossen hatte, beschloss ich, einen kleinen Spaziergang zu machen, denn immerhin herrschte draußen strahlender Sonnenschein. Also schnappte ich mir meine Handtasche und verließ nach drei Tagen das erste Mal meine Wohnung.                                                                                                                                                 

Draußen schlug mir direkt ein angenehmer Windhauch entgegen, der mir durch die Haare fuhr und mich abermals durchatmen ließ. Danach machte ich mich auf den Weg Richtung Park, wo bei diesem Wetter zwar wahrscheinlich die Hölle los sein würde, doch irgendwie hoffte ich, dass mich die breiten Massen der Stadt wieder beleben würden.

 

Wie richtig vermutet war der Park ziemlich überfüllt. Ausnahmslos jede Bank war von jungen Paaren oder Müttern mit ihren Kleinkindern besetzt. Auf der Hundewiese tollten bellende Hunde umher und vom Weiher her, der in der Mitte des Parks lag, war das Schnattern zahlreicher Enten zu vernehmen.

 

 

Schlagartig begann ich zu lächeln, da ich diesen Ort hier einfach liebte. Es roch nach Eis und Sonnencreme und diese lockere Atmosphäre beruhigte meine aufgewühlten Nerven, sodass ich spürte, wie die Anspannung der letzten Tage von mir abfiel.

 

Obwohl direkt vor mir eine schattige Bank frei wurde, trugen mich meine Füße zu einem mir ganz vertrauten Platz. Je näher ich jenem kam, desto mehr beschleunigte sich mein Herz und die Anspannung baute sich wieder in mir auf.                                                                  

Eigentlich wusste ich instinktiv, dass es keine gute Idee war, zu der Brücke zu laufen, an der Ben und ich zusammen gekommen waren, aber auch wenn es mir nicht gut tat, konnte ich ihrer Anziehungskraft nicht widerstehen.

 

Doch drei Meter vorher bremste ich abrupt ab. Dort, unter einer Weide, über einem kleinen Bachlauf, der in den Weiher mündete, befand sich die Brücke. Sie war vor drei Jahren Zeuge des Beginns unserer Beziehung gewesen und trotz dieser großen Zeitspanne konnte ich zwischen all den anderen Schlössern immer noch unseres erkennen. Wir hatten es damals dort angebracht, zum Zeichen unseres Zusammenhalts. Im Laufe der Zeit waren natürlich einige dazu gekommen, wobei mir immer, wenn ich hier war, auffiel, dass das ein oder andere durchaus demoliert war. Demnach waren Ben und ich nicht die  einzigen, die an ihrer Beziehung gescheitert waren.

 

Prompt spürte ich die aufkommenden Tränen, die schrecklich in meinen Augen brannten. Beruhig dich, Hannah, ermahnte ich mich selbst und straffte meine Schultern, ehe ich mich direkt vor unser Schloss stellte. Es war rot und hatte in einem goldenen Schriftzug unsere Namen eingraviert. Hannah + Ben und auf der Rückseite stand unser Jahrestag. 5.5.13                                                                                                                                                

Jetzt, wo ich vorsichtig mit der Fingerspitze drüber strich, konnte ich doch nicht anders, als hemmungslos zu schluchzen. Gott, ich war 19 und heulte in der Öffentlichkeit wegen eines Jungen. Als ich noch jünger gewesen war, hatte ich mir immer geschworen, dass so etwas nie vorkommen würde. Tja, so änderten sich Vorsätze. Mit 16 hatte ich auch im Leben nicht daran gedacht, dass ich ausgerechnet einmal wegen Ben weinen würde.

 

Denn auch, wenn wir uns natürlich auch gestritten hatten, war kein Streit so schlimm gewesen, dass ich deswegen geweint oder ihn ignoriert hatte. In meinen Gedanken ließ ich die letzten drei Jahre Revue passieren, in denen ich auf Wolke 7 geschwebt hatte.

 

In der 9. Klasse war Ben neu in unsere Klasse gekommen, weil er von England nach Deutschland gezogen war. Anfangs war er sehr still gewesen, zum einen, da seine Sprachkenntnisse noch nicht die besten gewesen waren, und zum anderen, weil die anderen geradezu mieden. In den Pausen starrten sie ihn immer nur von Weitem an und zerrissen sich die Mäuler über ihn. Seine roten Haare fanden sie komisch, seine blauen Augen zu gruselig und sein Verhalten freakig.                                                                                

Täglich hörte ich mir die Lästereien der anderen an, denn gerade meine besten Freundinnen Lina und Natalie liebten es, sich über ihn auszulassen. Doch eines Tages war mir das ganze Gehabe zu dumm und ich hatte mich dazu entschlossen, in der Mittagspause auf ihn zuzugehen. Er saß, wie jeden Mittag, ganz alleine in der Cafeteria vor seinem unangetasteten Teller Pasta und las einen seiner Mangas.                                       

„Hey“, hatte ich ihn begrüßt und mich einfach zu ihm gesetzt. Anfangs hatte er mich nur mit seinen Augen, die wirklich außergewöhnlich blau waren, angestiert, als sei ich ein Alien. Bis ich ihm ein Kompliment über jene machte, woraufhin er zu grinsen begonnen hatte. „Danke. Deine sind auch schön.“ Wobei er eher `schon´, anstatt ´schön´ sagte, was ich allerdings süß fand, auch während unserer Beziehung.                                                          

Tja, und seit diesem Tag hatten wir jede einzelne Pause verbracht, bis er mich fast ein Jahr später zum Eisessen einlud. Später hatte er mich dann zu dieser Brücke geführt, das Schloss hervorgeholt und mich gebeten, seine Freundin zu sein. Und jetzt hatte er mich einfach von Wolke 7 hinunter geschubst, weil er angeblich seinen Freiraum brauchte. Er würde demnächst mit seinem Medizinstudium beginnen und hatte deshalb angeblich keine Zeit mehr für eine Beziehung. Elendiger Arsch.  

 

„Ja, da hast du vollkommen Recht.“ Die Stimme hinter mir ließ mich zusammenfahren. Beim langsamen Umdrehen verkrampften sich meine Muskeln und ich musste tief durchatmen, um nicht den Verstand zu verlieren. Niemand anderes als Ben stand hinter mir, und seiner Miene nach zu urteilen hatte ich die letzten Sätze nicht nur gedacht, sondern auch noch laut ausgesprochen.                                                                                          

Schnell strich ich mir ein paar nasse Strähnen aus dem Gesicht, bevor ich mich aufrichtete und versuchte, halbwegs kühl rüber zukommen, obwohl sein Anblick mir beinahe die Luft zum Atmen nahm. Einerseits, weil er mich mit seinen tiefblauen Augen zu durchdringen schienen, andererseits weil unter jenen dunkle Schatten lagen und ein trauriges Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Es brach mir fast das Herz, zu sehen, dass anscheinend nicht nur ich litt wie ein Hund, sondern er auch.

 

„Es tut mir leid“, war alles, was er von sich gab. Dann nickte er in eine unbestimmte Richtung. „Gehen wir ein paar Schritte?“ Etwas widerwillig stimmte ich zu, und so schlenderten wir nebeneinander durch den Park, bis unsere Hände wie von selbst zueinander fanden.                                                                                                                                

„Ich war so ein Idiot“, durchbrach er irgendwann die Stille. „Kannst du mir verzeihen?“