Meine Mutter kochte einen Eintopf mit Linsen und Gemüse. Dieses Gericht war ein Nationalgericht. In meiner Heimat Aleppo, in Syrien, wohnte ich mit meinen Eltern und meiner vierjährigen Schwester Selin und meinem sechsjährigen Bruder Abdul. Ich bin die zwölfjährige Tamina. Wir zusammen sind die Familie Azman. Bei uns in Syrien herrschte Krieg, vor allem in Aleppo. Fast jeden Tag starben hier über eintausend Menschen bei Terroranschlägen. Unsere Familie hatte Glück, dass unser kleines Haus noch nicht von einer Bombe zertrümmert worden ist.
Aufgrund der gefährlichen Lage haben meine Eltern beschlossen, unsere Heimat zu verlassen und in ein anderes friedliches Land zu fliehen. Viele Menschen taten dies, obwohl nicht wenige von ihnen auf der weiten Reise starben. Am nächsten Tag wollten wir aufbrechen.
Meine Eltern weckten uns frühmorgens und wir alle aßen noch einen Hirsebrei zur Stärkung. „Wenn wir in einem Land sind, in dem kein Krieg herrscht“, sagte meine Mutter, „möchten Papa und ich ein Restaurant eröffnen.“
Mein Vater drängte zum Aufbruch: „Wir dürfen das Schiff nicht verpassen!“ Plötzlich rief meine Schwester Selin: „Mein Teddy, mein Teddy !“ Sie meinte ihren winzigen Plüschbären, den sie von unserer Tante geschenkt bekommen hatte. Wir hatten aber keine Zeit mehr, um ihren geliebten Teddy zu holen. Als wir das Schiff erreichten, war es sieben Uhr morgens. Zwei lange Tage fuhren wir über das Meer. Dann lief das Schiff in einen Hafen ein und ich fragte meinen Vater: „In welchem Land sind wir ?“ „In Griechenland“, antwortete er. Von dort mussten wir zu Fuß gehen. Bald schon spürte ich Schweißperlen auf der Stirn. Auch meine kleine Schwester war erschöpft und mein Vater musste sie auf den Arm nehmen. In einem kleinen Dorf bekamen wir von einem älteren Ehepaar eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. Doch unsere Eltern ließen uns nicht lange ausruhen. Abdul stolperte über einen Stein und schlug sich das Knie auf. Er fing an zu weinen. Meine Eltern trugen je ein Kind auf dem Arm, doch mich trug niemand. Mir war zum Heulen zumute. Meine Beine waren müde und ich hatte großen Hunger. Es dämmerte bereits und wir suchten einen Platz zum Schlafen. Schließlich ließen wir uns unter dem schützenden Blätterdach eines Baumes nieder und schliefen erschöpft ein. Doch ich fand nur in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Tag mussten wir bei Tagesanbruch ohne Frühstück weiterlaufen. Mir knurrte erbärm-lich der Magen und mein Durst war gewaltig. Ich glaubte, dass es meinen Geschwistern nicht besser ging. Wir waren bei heißen Temperaturen unterwegs. Die Sonne brannte vom Himmel und wir durften mittags nur ein paar Schlücke kostbares Wasser aus der Feldflasche trinken. An diesem Tag gab es nichts anderes außer ein paar Himbeeren, die wir sammelten, zu essen und wir fanden schließlich eine kleine Felshöhle zum Schlafen. Die darauffolgenden Tage waren nicht viel anders als die vorherigen.
Unsere Reise war sehr mühsam und beschwerlich, aber wir sahen auch wunder-schöne Landschaften, türkisfarbene Seen, noch nie zuvor gesehene Vögel und zu guter Letzt viele andere Flüchtlinge. Wir wanderten zwei Wochen lang die soge-nannte „Balkanroute“ entlang durch die Länder Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien, bis wir ein Land mit viel Gebirge erreichten. Es hieß Österreich. An der Grenze standen viele Männer in Uniform und mit Mundschutz, die unsere Pässe abstempelten, unsere Namen in eine Liste eintrugen und uns in eine Flüchtlingsunterkunft einwiesen. Dort bekamen wir Essen, Kleidung, ein Bett und Selin bekam sogar einen neuen Teddy, den sie glücklich an sich drückte. Nach ein paar Tagen setzten wir unsere Reise fort. Meine Eltern wollten gern in Öster-reich bleiben.
Eine Bäuerin mit einem großen Bauernhof und vielen Tieren bot uns an, bei ihr in einer umgebauten Scheune zu wohnen. Sie konnte Hilfe auf dem Hof gebrauchen und so konnten sich meine Eltern nützlich machen. Die Bäuerin hatte eine Tochter namens Sarah, die so alt war wie ich. Schnell freundeten wir uns an. Zu Beginn verständigten wir uns auch ohne Worte, aber schon bald brachte mir Sarah die ersten deutschen Wörter bei. Sie hatte auch ein eigenes Kaninchen, das ich so süß fand.