Ein Reisetagebuch

 

Ich bin ein Waisenkind. Mein Alltag ist wie das von jedem anderen. Das glaub ich zumindest, bis ich diesen Albtraum hatte, den ich niemals vergessen werde:

 

 

 

Ich war an einem anderen Ort. Es war fast wie zu Hause. Ich war sogar ein anderer Mensch. Ich hatte eine andere Wohnung und ich kannte diese Leute nicht… Eine erwachsene Frau servierte mir ein dampfendes Gericht zu. Es roch nach Gemüse. Es roch nach Kräutern. Lecker. Doch es war eine fremde Person… Wer sind diese Menschen?... Meine Mitbewohner?... Vielleicht sogar meine Freunde? Ich wusste es nicht. Sie schauten mich an.

 

“Kayf halik alan?”, fragte mich eine weibliche Person. Was redet sie da? Schon wieder hatte ich keine Antwort. Langsam rappelte ich mich wieder auf. “Tschuldigung, ich spreche kein arabisch… Vielleicht Englisch?”, sagte ich. Sie starrte mich nur an. “English?”, wiederholte ich mit einem britischen Akzent. “Er redet fließend deutsch!!!”, flüsterte die Frau den einen Mann neben ihr. “Das hat er noch nie gemacht!”

 

“Äh, was geht hier vor?”, fragte ich sie. Die zwei sprachen. Dann packte der Mann mich am Arm, die Frau mich am anderen. “Wir bringen dich zur Deutschlehrerin.”, sagte der Mann. Sie zogen mich rasch zum Treppenhaus und sahen so glücklich aus, als hätte der Mann der Frau gerade einen Heiratsantrag gemacht. Sie schubsten mich ins Auto, welches neben der kleinen grauen Garage neben dem Gebäude stand. “Ich bin stolz auf ihn”, flüsterten sich beide während der Fahrt.

 

 

 

Auf einmal gab es ein lautes Krachen. Rauch bildete sich vor uns. Die Stimmung im Auto änderte sich rasant. Der Fahrer meines Geisterautos machte eine Vollbremsung. “Raus hier!!!!!”, schrie er. Raus hier. Wo komm ich denn hin. Was passiert hier… Tausende Menschen waren in der Nähe. Viele schrien. Alle flüchteten von dieser geheimnisvollen Wolke. Ich flüchtete nach Westen, der Mann folgte mir, die Frau jedoch hat uns beim ganzen Chaos verloren. Ich fühlte plötzlich eine Verbindung zwischen mir und dem Mann und der Frau. Mir fehlte etwas als die Frau weg war. Plötzlich wollte ich sie suchen. “Wo ist diese andere bekloppte Frau hin?”, fragte ich den Mann. “Diese andere Frau”, wiederholte er lachend. “Die andere Frau”, sagte er, “ist deine Mutter, und du hast kein Recht sie auf dieser unhöflichen Art sie anzusprechen!”. Ich kicherte. Das war wohl die falsche Entscheidung. Ich bekam einen heftigen Schlag ins Gesicht. “Sie ist bestimmt weg.”, sagte der Mann dann, “und du verhältst dich wie ein Kind aus einer anderen Welt?”. Weg? Dem Mann senkte der Kopf, seine Augen schlossen als kleine Tröpfchen das Auge verließen.

 

 

 

Es war bereits Nachmittag. Die Sonne entfernte sich langsam vom Himmel. Stunde für Stunde wurde ich hungriger. Ich war noch nie so großem Hunger ausgesetzt. Dann zog der Mann eine kleine Schusswaffe aus der Tasche die er dabei hatte. “Nachdem es so viele Entführungen in der Stadt gab entschied ich eine kleine Waffe zu kaufen. Ich hoffe du bist nicht böse, denn müssen uns nicht nur von Beeren ernähren.”, sagte er. Wir? Der Mann kümmerte sich ja richtig um mich. So wie ein Vater. Nach einer Weile suchen fand er auch schon ein Tier. Es war ein Zebra. Ein Zebra. Igitt!! Während er gemütlich das Feuer zubereitete, ekelte ich mich immer noch. Ich hatte davor noch nie im Leben Zebra gegessen. Reiß dich zusammen, sonst verhungere ich. Es war wie folter. Langsam schlossen sich weitere Menschen an. Sie hatten alle nichts zu essen. Egal wie viele Leute es waren, der Mann kümmerte sich darum, dass ich genügend Essen hatte.

 

 

 

Nach dem Essen war ich wieder satt. Alle bedankten sich. Es fühlte sich so an wie eine große Familie. Es fühlte sich toll an, doch was sich nicht toll anfühlte war dass ich nicht wusste was morgen passiert.

 

 

 

Es war schon Nacht. Der Himmel war wunderschön und voll mit glänzenden Sternen. Unsere Truppe machte sich auf dem Weg zu einem Schlafplatz in der Wildnis. Die Männer mussten Wache halten. Ein Glück dass ich jung war. Ich durfte im weichen Sand einschlafen. Die ganze Nacht. Der Tag war vorbei.

 

 

 

 

 

TAG 2

 

Der neue Tag begann als die Sonne mir ins Gesicht schien. “Wir haben noch einen weiten Weg vor uns”, sagte der Mann der sich um mich gekümmert hat. Wir liefen immer weiter nach Westen. Die Frau fehlte mir irgendwie immer noch. “Wir müssen zu einem sicheren Ort. Zu einem Flüchtlingslager in Europa.”. Europa? Waren wir nicht schon in Europa?

 

 

 

Tage und Nächte vergingen. Jeden Tag dasselbe Ritual. Morgens aufstehen, dann Beeren frühstücken, mittags laufen, abends essen und Schlafplatz suchen. Kurz vorm Meer wurden wir aufgehalten.

 

 

 

“Hände hoch!”, kommandierte der Maskierte Mann. Der Mann war zusammen mit zwei weiteren Männern auf einem Pferd gekommen. Jeder von ihnen trug eine schwarze Maske, die einen kleinen Schlitz für die Augen und den Mund ließ, und hielten eine Waffe auf uns zu. “Hände hoch!”, wiederholte er. Alle Hände gingen sofort nach oben, außer der vom Mann, den ich immer bei mir hatte. Er holte seine Schusswaffe heraus und richtete sie auf die Männer. Leg sie wieder runter, was soll das!! “Waffe runter!”, kommandierte einer der anderen Maskierten. Blitzschnell schoss der Mann meines Vertrauens. Er war flink und sicher im Schießen. Trotz allem verfehlte er den dritten. Der letzte Maskierte war genauso flink, vielleicht sogar ein bisschen flinker, denn er schoss zuerst auf ihn. Die Patrone donnerte aus der Waffe und traf den Mann auf dem Bauch. Er ließ ein schreckliches schreien ab. Blut schoss aus ihm heraus. Er wurde blass. Ich rannte sofort zu ihm. Ich hatte Mitgefühl und wollte ihn nicht verlieren. Der Maskierte peitschte das Pferd und war weg. Wie aus dem nichts kam die Frau angerannt. Sie war froh endlich überhaupt jemanden zu sehen. Alle waren traurig, einen Mann zu verlieren, der uns den weiten Weg hierher gebracht hat. Jetzt sind wir mitten im nirgendwo. Aus dem letzten Atem krächzte der Mann noch ein letztes Wort:

 

“Du weißt doch, dass ich dein Vater bin? Du verhältst dich sehr anders, mein Sohn. Ich bin stolz auf dich...”. Mein Vater?  “Geht zum sicheren Ort, zum Flüchtlingslager.”. Dann kippte der Kopf zur Seite. Er war tot und es herrscht Totenstille.

 

 

 

Der Weg wurde mühsamer. Jeden Tag konnten wir uns nur von kleinen Früchten ernähren. Wir mussten riesige Umwege laufen um an Wasser zu gelangen. Außerdem hatten wir keinen starken Anführer. Jeder machte sozusagen was er will. Nach zwei Jahren, endlich, sind wir in einem Flüchtlingslager angekommen.

 

 

 

Das Flüchtlingslager war riesig. Überall waren Leute, die genauso wie ich aussehen. Es waren sogar viele Kinder dabei. Wir sind als Gruppe zur Registration gelaufen. Die Schlange vor dem Schalter war gewaltig. Ich habe noch nie so viele Leute auf einem Platz gesehen.

 

 

 

Nachdem wir alle unsere Unterlagen bekommen haben, gingen wir unterschiedliche Wege. Außer diese Frau, die schon fast die ganze Zeit mit mir zusammen war, die anscheinend meiner Mutter war, ist mir mir genommen. Wir gingen zur Abteilung sechs. Es war eine zufällige Zahl, doch die meisten schienen in diese Abteilung zu gehen. Uns begrüßte ein freundlicher Mann. Er sah anders aus, denn er hatte eine blaue Uniform an, welche mit einem blauen Kreis und der Überschrift “Unicef Aktion für Kinder im Krieg und auf der Flucht” verziert war. “Ich bin Jeff.”, sagte er und hab mir die Hand, “Schön euch kennenzulernen”. Ich schüttelte die Hand. Es war ein tolles Gefühl endlich wieder was zu machen, das normal war. Auf jeden Fall fand die Frau dies nicht normal und schaute mich verdutzt an. Jeff brachte uns zu einem Zimmer aus dutzenden Betten. “Hier dürft ihr eure Zeit verbringen, bis Hilfe kommt.”, erklärte er uns.

 

 

 

Während Mittagessen lernte ich einen neuen Freund kennen. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Schnell wurde er zu meiner Besten Freundschaft. Es war toll einen Kumpel zu haben.

 

 

 

Eines Tages ging er zu mir und fragte: “Hast Du gehört dass einige nach Deutschland geflogen werden und eine neue Familie bekommen?”. Davon wusste ich nichts. Ich war erstaunt, weil ich die ganze Zeit dachte, wir wären schon in Deutschland, doch ich dachte mir: “ Ich bin glücklich. Ich bin schon froh ein Dach überm Kopf zu haben, ich habe ein besten Freund kennengelernt und meine Mutter mit mir, was brauch ich denn noch…”.

 

 

 

Und so ging dieser Traum zu Ende...

 

 

 

 (12 Jahre)

 

 

 

 

 

 

 

Anmerkung des Autors:

 

Ich bin nicht ein Waisenkind. Ich hatte auch noch nie diesen Traum. Die Inspiration zum Schreiben einer Geschichte dieses Themas, bekam ich beim Lesen eines Buches einer wahren Flucht. Ansonsten ist natürlich alles frei erfunden.