Wolfalarm

Tinka und Laura waren aller-aller-beste Freundinnen. Sie taten alles gemeinsam. Nie sah man Eine alleine. Nur in der Schule durften Sie nicht nebeneinander sitzen. Sie wohnten nebeneinander und spielten gemeinsam Flöte.

 

 

 

Doch irgendwann wurde alles anders:

 

Montag:

 

Als die Klasse 4c nach der Pause wieder in ihre Klasse kam, stand Frau Ernst schon da. Als Frau Ernst sich räusperte, wurde es schlagartig still. Sie begann zu sprechen: „ Ich muss euch etwas mitteilen. Es kommen zwei syrische Mädchen in unsere Klasse. Es sind Zwillinge und sie haben eine lange gefährliche Flucht hinter sich. Sie sprechen kein Deutsch, ich möchte, dass sie sich hier wohlfühlen.“ Da ertönte der Schulgong. Schulschluss. Die Kinder sprangen auf, suchten ihre Sachen zusammen und stürmten aus dem Schulgebäude.

 

Auf dem Heimweg:

 

Als Tinka und Laura zusammen nach Hause gingen, fragte Laura: „Was meinst du, ist es gut, dass wir AUSLÄNDER in die Klasse kriegen?“ Da antwortete Tinka patzig: „Ich finde wir sollten erst einmal abwarten, wie sie sind. Danach können wir ja immer noch entscheiden, wie wir sie finden.“ Laura zischte jedoch: „Ich muss mir die nicht angucken, um zu wissen, dass sie blöd sind! Jemand, der nie duscht und anderen was klaut, muss doof sein! Da kannst du sagen was du willst, ich ändere meine Meinung nicht!“ „Ach, bitte, guck doch wenigstens mal!“ Probiert es Tinka noch mal. „ICH ÄNDERE MEINE MEINUNG NICHT!!!“Brüllte Laura Tinka ins Ohr. „Na gut, dann eben nicht. Es ist nicht meine Schuld, wenn du etwas verpasst!“ Plötzlich bog Tinka in eine Seitenstraße ein. Im Weggehen murmelte sie: „Die immer mit ihren Vorurteilen! Das muss ich mir nicht gefallen lassen.“ „Äääh... Vorurteile? Hallo? Was ist denn jetzt mit der los? Ich sag doch nur, was ich denke! Meinen Eltern wird es so oder so nicht gefallen, dass Flüchtlinge in unsere Klasse kommen. Da kann Tinka einen noch so großen Umweg gehen.“ Wütend trat sie gegen einen Stein.

 

Kurz darauf:

 

Als sie nach Hause kam, waren Lauras Eltern schon da. Gerade als Laura die Tür herein kam, stellte Lauras Mutter das Essen auf den Tisch.  „Und, wie war´s in der Schule?“ fragte ihr Vater. „Eigentlich ganz gut. Aber stell Dir mal vor. Wir kriegen zwei AUSLÄNDER in die Klasse!!!“ „UNVORSTELLBAR!!!“ warf ihr Vater dazwischen. „Ja! Wahrscheinlich muss ich sogar neben Einem sitzen.“ „Das ist ja die Höhe! Wieso nehmen sie die überhaupt in eure Klasse? So könnt ihr doch gar nicht richtig lernen!“ schimpfte Lauras Mutter. „Ich werde mich im Sekretariat  beschweren! So geht das doch nicht, die können doch nicht einfach Kinder in die Klasse nehmen, die noch nicht mal ansatzweise deutsch sprechen, geschweige denn verstehen! Aus welchem Land kommen sie denn?“ Laura nickte. „Frau Ernst hat gesagt, dass die aus Syrien sind. Wo ist das eigentlich?“Lauras Vater regte sich auf: „Das ist doch die Höhe! Die lassen  Kinder in eure Klasse, in deren Land  Krieg ist. Wissen eure Lehrer eigentlich, in welche Gefahr sie sich und euch begeben? Wenn einer von denen um sich schießt? Das ist doch gemein-gefährlich.“ Lauras Mutter erklärte wütend: „Syrien liegt bei Israel. Dort ist Bürgerkrieg. Wenn die schon unbedingt kämpfen müssen, sollen sie das gefälligst in ihrem Land machen und nicht bei uns.“

 

Nach dem Mittagessen:

 

Laura ging in ihr Zimmer und zog ihren Rollladen zu Tinkas Zimmer zu. Dann setzte sie sich an ihren  Schreibtisch und begann mit den Hausaufgaben. Ihren Rollladen ließ sie die ganze Zeit unten

 

Dienstag, 6:30 Uhr:

 

Als Tinka am nächsten Morgen aufwachte, sah sie gleich nach, ob Laura sich beruhigt hatte. Doch genau wie am Vortag  war Lauras Rollladen noch unten. Tinka wusste aus fünf Jahren Freundschaft, dass Laura sehr stur sein konnte. Daher beachtete Tinka das Fenster auf der anderen Straßenseite nicht mehr und ging in die Küche zum Frühstück.

 

8Uhr:

 

Punkt acht Uhr ging die Tür zum Klassenraum der 4c auf und Frau Ernst betrat den Raum. Alle aus der 4c saßen an ihren Plätzen. Zwei schmale, schwarzhaarige, große Mädchen, die mit ihren dunklen Augen neugierig und angstvoll zugleich die Klasse musterten, schoben sich hinter ihr her. Frau Ernst stellte die neuen Mädchen vor: „Das sind Hanni ...“ „Nicht  Hanni! Hanieh ! (sprich: Hanje)“ Unterbrach Hanieh empört. „Okay“ Frau Ernst sprach weiter: „Das sind das Hanieh  und Hanin. Gibt es jemanden, der gerne neben einem von ihnen sitzen würde?“ Tinka und ihre Sitznachbarin Liska meldeten sich. „Ok, Hanieh, dann  setz du dich neben Tinka, und Hanin, du setzt dich neben Liska.“ „O je, das kann ja was werden!“ flüsterte Laura ihrer Banknachbarin Lisa zu. Die nickte stumm. „Laura, wiederhole doch bitte mal, was du gerade gesagt hast.“ Ups, Laura hatte überhaupt nicht bemerkt, dass Frau Ernst vor ihr stand, als sie mit Lisa flüsterte. Laut und deutlich wiederholte Laura: „Ich habe gesagt: das sind ja sehr interessante Namen.  „Ist klar“ brummte Luca hinter ihr. Laura fuhr herum. „Was soll klar sein?“ zischte sie. „Na“ antwortete Luca, „dass du gesagt hast dass du die Namen „interessant“ findest. Ich habe nämlich das gehört: ...“ „Hat dich jemand gefragt?“ schaltet sich Lisa ein. „Nein, es hat ihn niemand gefragt.“ Tinka stand auf, „aber ich denke, dass es außer mir noch ein paar interessieren würde, oder?“ Tinka sah sich in der Klasse um. Ein paar Kinder nickten. Luca wollte gerade erzählen, was er gehört hat, da schaltete sich Frau Ernst ein: „Danke, für euren Hinweis, Luca und Tinka, aber ich glaube, Laura und Lisa können mir alles Weitere draußen auf dem Flur erklären.“ Sie winkte Laura und Lisa zu sich an die Tür, die bis jetzt total blass auf ihren Plätzen gesessen hatten.  „Und ihr“, sie wendete sich der Klasse zu, „arbeitet bitte im Mathebuch auf Seite 256 weiter. Gebt  Hanieh und Hanin ein Blatt und erklärt ihnen die Aufgaben, dann können die beiden auch gleich mitarbeiten. “ Frau Ernst öffnete die Tür und scheuchte Laura und Lisa auf den Flur.

 

Währenddessen:

 

„Was haben Laura und Lisa denn nun wirklich gesagt?“ fragte Felix. „O-je, das kann ja was werden!“ Luca machte Lauras Stimme so gut nach, dass alle lachen mussten. „Tinka, warum standst du eigentlich auf unserer Seite und nicht auf Lauras Seite? “ fragte  Simon. „Oh, haben sich unsere siamesischen Zwillinge etwa gestritten?“ stichelten Pia und Lia aus der letzten Reihe. Als auch Tara fragte, ob Tinka sich mit Laura gestritten hätte, erzählte Tinka von dem Ereignis vom Vortag. „Ich werde Laura ein bisschen schmoren lassen, wenn sie sich entschuldigt, können wir nochmal Freundinnen werden, wenn nicht, nicht“, endete Tinka.

 

Einige Wochen später:

 

Laura und Tinka sind nun keine besten Freundinnen mehr und sie versuchen mit allen Mitteln sich aus dem Weg zu gehen. Tinka trifft sich lieber mit Hanieh und Hanin, um mit ihnen Deutsch zu lernen, und Laura fängt an Fußball zu spielen. Außerdem spielen sie nicht mehr zusammen Flöte.

 

2 Wochen später, Donnerstag 14 Uhr, Fußballtraining:

 

Als Laura, Lisa und die anderen Mädchen von der Mädchenmannschaft des TuS Glockenbach aus der Kabine auf den Rasenplatz treten, wartet schon ihr Trainer auf sie. „Bevor wir mit dem Training anfangen, möchte ich euch noch jemanden vorstellen; das ist Hanieh, sie kommt aus Syrien und war dort eine sehr gute Stürmerin.“ Lisa und Laura wechseln einen Blick. „Das heißt Hanieh wird nun im Sturm sein?“ „Ja genau. Hanieh und Lissy können sich im Sturm abwechseln, so muss keine einzige durch spielen.“  Erklärt der Trainer. „Gilt das auch schon am Samstag? Beim großen Spiel gegen die SG Koltersbach?“ will Leonie wissen. „Ja, wir nehmen Hanieh am Samstag mit!“ kündigt der Trainer an.

 

Samstag, Anpfiff:

 

Die Mädchen laufen auf den Platz und warten auf den Schiri, damit das Spiel beginnen kann. Da! Der Anpfiff ertönt und die Gegnerinnen stürmen auf das Tor zu. Mist! Treffer  für die Gegner. 1:0! Von der Bank aus muss Hanieh zusehen, wie die Gegner noch zwei Tore schießen. Dann war Halbzeit. Nach der Halbzeit darf Hanieh spielen. Sie legt gleich gut vor, eins, zwei, nein drei Tore. Doch leider legen die Gegner nach. Wieder ein Tor. Das lässt Hanieh  sich nicht gefallen! Jetzt führt sie ein noch schnelleres Spiel. Ihre Gegner kommen gar nicht mehr hinterher! Schwups, schon wieder schießt Hanieh ein Tor. Da ertönt der Schlusspfiff. Das Spiel ist aus. Die Mädchen vom TuS Glockenbach sind die beste Mädchenmannschaft aus der Gegend und dürfen aufsteigen. Jubelnd wird Hanieh von allen Seiten umringt, obwohl die gar nicht so schnell versteht, was passiert. Irritiert läuft Hanieh zu Tinka und Hanin, die an der Seite zuschauen. Gerade als Tinka erklärt, warum die anderen so happy sind, kommt Laura auf sie zu.

 

„Super gespielt, Hanieh“, lobt sie, „vielleicht können wir ja Freundinnen werden?“ Da schaltet sich Tinka ein: „Das geht aber nur, wenn wir auch wieder Freundinnen sind. Einverstanden?“ Da grinst Laura. „Natürlich, sogar freiwillig!“ Da prusten die beiden los. Und so sind sie wieder aller-aller beste Freundinnen.

 

 

 

10 Jahre