Mensch

 

 

 

Der Himmel ist heute zu blau. Er starrt mich herablassend an, weil er mal wieder zu betrunken für einen Dienstagvormittag und zu wolkenlos für mein getrübtes Gehirn ist.

 

Wann bin ich zu alt geworden um mir Kindersendungen anzusehen? Während ein roter Teletubbie einen Hügel runterrollt fällt mir auf, dass ich zu oft 'zu' denke, obwohl es doch eigentlich um das 'auf' gehen sollte. Aber das ist genau was sie gemacht hat, die Gesellschaft, die Zeit, die verdammte Illusion die man mir in den Kopf gepflanzt hat und die jetzt wie Unkraut zwischen meinen Gedanken wuchert.

 

 

 

Ich bin zu alt um unbeschwert durch die Welt zu schweben und doch zu jung um ernstgenommen zu werden. Alles was mir bleibt ist der verbitterte Versuch mir selbst treu zu bleiben und zu sagen was eigentlich keiner hören will. Ich bin ein Existentialist, ein Eintagsfliegenkind, ein Poet und Alles was du nicht verstehen willst in Einem. Und wenn du mir ins Gesicht spuckst, dass ich die Erwartungen der Anderen nicht erfülle, dann werde ich zurück schreien dass ihr mich zu dem gemacht habt. Dass ich gerne öfters lächeln würde, aber du es immer als Einladung siehst mir auf der Straße etwas hinterher zu rufen. Dass ich mich gerne zeige, aber ihr mich nur im Minikleid wahrnehmt. Dass ich verzeihe, aber ihr mein Vertrauen zu oft missbraucht habt. Und dass ich stark bin, aber nicht unzerbrechlich.

 

 

 

Aber auch das willst du nicht hören. Du drehst dich weg, setzt deine Kopfhörer auf: vielleicht rede ich deshalb immer so laut.

 

 

 

Während ich auf der Bordsteinkante in Richtung Bahnhof balanciere murmeln mir die Häuserwände unaufhörlich leise Worte zu. Es hört sich fast an wie ein Schlaflied oder eine Hymne an die erloschenen Straßenlaternen. Und mir wird erst bewusst, dass es sich um gedämpfte Schreie handelt als ich den Kopf der Sonne entgegenstrecke. Ich blicke in ein Fenster, eine Frau packt ihre Tochter an den Haaren, ballt die andere Faust, schlägt zu; nimmt ihr gleichzeitig die Luft zum Atmen und ihre Würde. Ich bleibe stehen, aber das geht schlecht wenn man auf einer Kante steht. An mir läuft ein Paar vorbei, dann ein Jogger, eine Gruppe Kinder, auch sie blicken auf. Keiner von ihnen bleib stehen. Keiner dreht sich um. Und als ich weiter balanciere auf meinem ganz eigenen Äquator, denke ich nur an Eines. An diese eine Fremde. Diesen eine Jemand. Und wie sich ihr Schmerz wie eine bittersüße Symphonie unter der Tür durch zu mir hin geschlichen hat. Sie schreit gen Himmel, nicht mehr als ein Echo kommt im Universum an und wird von der Sonne verschluckt wie ein verkümmerter Stern.

 

 

 

Ich sitze am Bahnhof auf einer Holzbank und verbrenne mir die Finger an meinem Kaffeebecher. Dass es minus fünf Grad ist und ich eine halbe Stunde auf meinen Zug warten muss macht mir nichts aus. Ich stelle mir gern vor ich sei eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer zurückziehen kann, wenn ihr die Welt mal zu laut wird. Außerdem beobachte ich gerne Anzugmenschen. Sie erinnern mich an Riesenameisen die mit Aktentaschen und Mobiltelefone durch die Gegend krabbeln. Und sie erkennen keine Schönheit in der Art wie der Schnee die Autos am Straßenrand wie Kuchenglasur bedeckt, oder wie die Sonnenstrahlen im Wasser versinken wie Fingerfarbe.

 

 

 

Und nennt mich verrückt, aber ich kann sehen. Ich kann sehen. Ich schließe meine Augen nicht vor den schönen und den grausamen Dingen, weil ich weiß, dass sie nie wieder genauso sein werden wie in diesem einen Moment. Und ich bedaure diese Leute nicht, denn sie haben sich selbst blind werden lassen, ihre Augen nur auf einen Punkt gerichtet. Es geht ihnen immerzu nur darum den schnellsten Weg von A nach B auszurechnen. Einwärtschielende Mathegenies.

 

 

 

Und wenn mir Einer sagt das wäre kindisch, weil Erwachsene nun mal andere Probleme haben, dann hatte der Breakfast Club vielleicht doch recht. Vielleicht stirbt dein Herz ja wirklich wenn du älter wirst.

 

 

 

Und ja ich bin jung, ich hab noch nicht viel von der Welt gesehen; nennt mich naiv, nennt mich romantisch oder zynisch, aber ich würde lügen wenn ich behaupten würde, dass ich nicht vor langer Zeit verstanden habe, wie verdammt schnell Alles an uns vorbei rast. Es ist genauso unaufhaltsam wie der Zug indem ich sitze.

 

 

 

Wer ich bin? Ich bin ein Mensch. Und der Satz 'Sein oder nicht Sein' reicht mir schon lange nicht mehr. Natürlich 'bin' ich. Aber warum fragt denn nicht endlich Jemand: Wer willst du denn sein? Und jetzt wird mir bewusst, dass aus dem 'Mensch sein' ein 'sein Mensch' geworden ist. Und Alles an diesem Gedanken ist gleichzeitig so wahr und doch von Grund auf falsch.