Evans Erkenntnis

von

Karim E-Deyry

 

Vor fünfzehn Jahren wurde Evan von seiner Mutter unter einer Brücke geboren. Sie war obdachlos, von ihrem Mann geschieden, allein sowie ohne jegliche Arbeit. Seitdem lebte sie unter der Brücke. Einige Obdachlose halfen ihr damals aus Mitleid die ,,Wohnung“ unter der Brücke zu errichten. Doch das Schwierigste war Evan zu ernähren. Als er auf die Welt kam halfen ihr die anderen Obdachlosen das Geld für die Windeln sowie die Nahrung und Kleidungsstücke zu beschaffen. Als Evan schließlich heranwuchs, begann eine harte Kindheit für ihn. Ständig musste er seiner Mutter beim Beschaffen des Geldes helfen um ihr Überleben zu sichern. Dabei wurde er von den reichen Kindern, der in der Nähe stehenden Schule, oft gemobbt. Doch je älter Evan wurde, desto mehr gewöhnte er sich daran. Zur Schule ging er nie, dazu fehlte das Geld, und er kannte auch nur sehr wenige Kinder mit denen er manchmal spielen konnte. Seine Mutter wollte nie, dass Evan zur Schule ging. Sie wusste, dass es sehr peinlich für ihn sein würde und sie wollte nicht, dass er es durch den ganzen Schulstress noch schwerer haben würde. Das Schreiben brachte ihm seine Mutter bei und auch ein wenig Mathematik. Seitdem wurde Evan ehrgeiziger und wollte immer mehr lernen. Er wollte den anderen Kindern unbedingt zeigen wozu er in der Lage ist. Wozu jemand fähig ist, der beinahe gar nichts besitzt.

 

Als Evan einmal mit ein paar Freunden umherzog und die Mülltonnen der Stadt nach etwas Brauchbarem durchsuchte, entdeckte er ein altes Buch. Erfreut nahm er es mit und begann es zuhause zu lesen. Seitdem wuchs in ihm die Faszination an der Literatur. Mit etwa 12 Jahren begann er an einem Buch zu schreiben. Sein Ziel war es die Menschen, mit diesem Buch, zum Nachdenken anzuregen, sie gleichzeitig zu unterhalten sowie ärmere Menschen in schwierigen Situationen zu motivieren. Er schrieb größtenteils über sein Leben, sowie über seine Träume und Wünsche einer ,,Fairen Welt“-einer Welt, in der es keine Armut und Leid, keinen Krieg oder Mobbing gibt, in der jeder respektiert und anerkannt wird. Doch dazu sollte es nie kommen…

 

An einem schönen Sonntag besuchte ihn sein bester Freund Micheal, der ebenfalls obdachlos war, und in der Nähe wohnte. Als Evan ihm davon erzählte, dass er ein Buch schreiben wollte, lachte Michael nur und sagte:,, Wie willst du das denn machen? Du warst ja nicht mal auf der Schule.“ ,,Das mag sein, allerdings kann ich lesen sowie schreiben. Außerdem liegt mir das Schreiben sehr.“ Michael sah ihn verwundert an und entgegnete: ,, Ja, das ist ja toll, aber wenn rauskommt, dass du nicht auf der Schule warst, wird deine Mutter sicher festgenommen und hinter Gitter gesteckt. Mach das lieber nicht. Außerdem musst du dann zur Schule gehen und dein ganzes Leben könnte sich auf den Kopf stellen. Das wird so nie was.“ Evan dachte nach und entgegnete:,, Allerdings könnte ich das Manuskript auch Ryan geben, der ist ja auf der Schule und seine Eltern haben eine Wohnung. Er könnte es unter seinem Namen einschicken. Wenn das Buch dann berühmt wird, ist er zwar derjenige, der den Ruhm erntet, allerdings würde ein Teil des Gewinns an mich und meine Mutter gehen und wir hätten es nicht mehr so schwer.“  ,,Das ist doch nicht dein Ernst, Evan! Ryan wird sicherlich das ganze Geld für sich behalten und versuchen, dir aus dem Weg zu gehen.“ Evan ließ den Blick nachdenklich durch den Raum schweifen. Schließlich sagte er: ,,Das traue ich ihm nicht zu. Außerdem sind wir Freunde, warum sollte er das tun?“ ,,Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Michael, ,,doch dieses Risiko würde ich nicht eingehen.“ Nach einer Weile ging Michael wieder nach Hause und Evan dachte über alles noch einmal gründlich nach. Doch er war entschlossen. Am nächsten Tag verabredete er sich mit Ryan, besprach mit ihm alles und übergab ihm das fertige Manuskript. Mit einem komischen Gefühl in der Magengegend machte sich Evan wieder auf den Weg nach Hause. Seiner Mutter hatte er nichts erzählt, da er sie überraschen wollte. Doch er ahnte nicht, dass er derjenige sein sollte, der die größte böse Überraschung erleben sollte…

 

,,Evan, Evan!“, schallte eine Jungenstimme durch die Nacht. Evan sah erschrocken auf und rief:,, Michael, ich bin hier!“ Ein paar Sekunden später sah Evan Michael aus der Ferne zu ihm und seiner Mutter  herüberrennen. ,,Michael, was machst du denn hier?“, fragte Evans Mutter weinerlich. ,,Oh Gott, ich dachte ihr wärt immer noch da drinnen. Ich hab die gigantische Rauchwolke des Feuers gesehen und bin sofort hergelaufen. Zum Glück seid ihr wohlauf! Meine Eltern müssten auch gleich da sein, sie wollen auch helfen.“, antwortete er erleichtert und ganz außer Puste zugleich. ,, Was zum Teufel ist denn geschehen?“, fragte er. ,,Ich weiß es nicht.“ ,sagte Evan niedergeschlagen, ,,es ging alles so schnell.“ Schließlich kamen Michaels Eltern angerannt. Erstaunt blickten sie auf das gigantische Feuer und  keuchten: ,,Oh je, was um alles in der Welt ist denn hier geschehen?“ ,,Irgendjemand muss bei uns ein Feuer gelegt haben.“, weinte Evans Mutter, worauf sie von Michaels Eltern mitfühlend getröstet wurde. Da wusste Evan, was geschehen sein musste. Wütend meinte er: ,,Es war Ryan!“. Alle außer Michael sahen ihn verwundert an. Nachdem Evan ihnen alles erzählt hatte, herrschte für einen kurzen Moment Schweigen. Evan ergriff als erster das Wort: ,,Dieser Schweinehund, ich habe ihm vertraut! Er wollte mich aus dem Weg schaffen, damit er das Geld für sich alleine behalten kann. Er wusste genau, dass das Buch erfolgreich sein würde. Jetzt hat er alles und wir gar nichts! Aber ich werde ihm alles heimzahlen!“ Wieder schwiegen alle für einen Moment bis Micheal sagte: ,,Wir sollten schleunigst von hier verschwinden bevor die Feuerwehr eintrifft. Am besten kommt ihr zwei zu uns und wir kümmern uns fürs erste um euch.“ Evan sah seine Mutter an. ,,Ja, das klingt gut. Vielen Dank“, erwiderte sie. Schließlich machten sich alle auf den Weg. Evan warf noch einen letzten Blick zurück auf sein zerstörtes Heim und er verspürte einen großen Zorn und Hass auf Ryan. Da erkannte er, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, eine Faire Welt wird es wohl niemals geben.

 

 

 

(14 Jahre)