Träume, Fantasie und neunschwänzige Füchse!

 

 

 

   Draußen regnete es in Strömen. Der Himmel war von dunklen Wolken durchzogen und kalter, feiner Regen bahnte sich den Weg nach unten gen Erde. Ich saß zu Hause in meinem Bett mit einem dicken Schal um den Hals und den Wollsocken meiner Oma an den Füßen, bei denen ich mir eigentlich geschworen hatte, sie niemals zu tragen, da sie zwei Farben ausgewählt hat, die in meinen Augen nicht kombinierbar waren: blendendes, grelles grün und warmes weinrot.

 

Ich war krank, hatte als Einzige in der Familie mal wieder die Grippe, weshalb es mir auch nicht schwer fiel ein zu schlafen…

 

 

 

   Um mich herum war es hell, strahlend hell. So hell, dass ich im ersten Moment geblendet meine Augen zusammen kneifen musste. Mit schneckenhaftem Tempo gewöhnten sie sich an das überflüssig grelle Licht und ich erkannte erste Umrisse. Unter mir und fast überall um mich herum, befand sich von Blumen geziertes Gras. Die Wiese wurde am Rand markant durch Bäume gesäumt. Eine Biene ließ sich direkt neben mir auf einer rosa Blume nieder und die Stille wurde durch ständig anschwellenden Vogelgesang gebrochen.

 

   Neugierig schaute ich mich um, ließ meinen Blick über die weite Ebene schweifen. Da bewegte sich etwas! Nicht weit von mir entfernt. Überrascht kniff ich meine Augen zusammen und hielt mir eine Hand über die Augen, um besser sehen zu können. Es schien ein Fuchs zu sein, doch etwas irritierte mich an ihm. Er hatte eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Schwänze!

 

   Während ich ihn beobachtete, sah ich, wie sein Kopf sich drehte. Für einen kurzen Augenblick schaute er mich an, dann rannte er wider nicht weg, wie ich anfangs erwartet hatte, sondern kam tatsächlich auf mich zu getrottet und strahlte dabei eine Ruhe aus, die beinahe schon unheimlich schien. Und je näher er kam, desto erschrockener fühlte ich mich. Nicht nur, dass er größer war, als Füchse es normalerweise waren, seine neun Schwänze waren zusätzlich von wild zuckenden Flammen umhüllt, die ihn jedoch nicht verbrannten.

 

   Zu erschrocken, um mich zu bewegen, blieb ich dort sitzen, wobei die Biene neben mir sich erhob und davon flog. Der neunschwänzige Fuchs blieb genau vor mir stehen. Ich konnte die Hitze des Feuers spüren und war noch immer wie gelähmt und unfähig mich zu bewegen. Etwas an ihm regte in mir zu dem tiefste Faszination. So etwas hatte ich noch nie gesehen!

 

   Irritiert beobachtete ich wie sich die Mundwinkel des Fuchs zu einem feinen Lächeln kräuselten. »Wir haben nicht oft Besuch hier«, sagte der Fuchs plötzlich mit einer weichen Frauenstimme und ich verlor fast den Verstand vor Verwirrung. Sprechende Wesen, neunschwänzige Füchse und eine Umgebung, die viel zu perfekt, zu sehr im Gleichgewicht schien, um real zu sein.

 

   »Was bist du?«, war das Einzige, das ich in diesem Moment Zustande bringen konnte. Mehr als diese drei Worte, hätte ich einfach nicht über meine Lippen bekommen können.

 

   Das Lächeln blieb, als sie mir antwortete. »Ich bin eine Kitsune«, erwiderte sie. »Man nennt uns aber auch Gumihos oder Huli Jings! Neunschwänzige Füchse sind Fuchswesen aus der asiatischen Sagenwelt.«

 

   Ein kurzes »Äh« entwich meinem Mund und ich hoffte inständig, dass es nicht zu unfreundlich erschien.

 

   »Wir sind der Fantasie der Menschen entsprungen. Ohne Fantasie würde das alles hier nicht existieren«, erklärte sie und deutete mit ihrem Kopf um sich herum.

 

   All das?

 

   Sie lächelte wieder, da es zwischendurch ein wenig verblasst war und ließ sich vor mir nieder. Das Feuer berührte jedoch verbrannte die Blumen nicht. Magie? »Menschen haben diesen Ort unbewusst erschaffen. Alles was du dir vorstellst ist real. Viele Träumen von einer besseren Welt und versuchen aus der Realität zu fliehen und genau aus diesem Grund entstand dieser Ort«, fuhr sie fort.

 

   »Und alles was ich mir vorstellen kann, wird hier real?«, vergewisserte ich mich überwältigt.

 

Die Kitsune nickte ruhig. »Alles. Stell dir einfach etwas vor. Überlege dir wie es aussehen und vielleicht auch riechen könnte, denke wie stark oder blass die Farben sein sollen und wie groß es werden soll.«

 

   Ich nickte und sah das irgendwie mehr als Herausforderung an. An irgendetwas denken! Das war eigentlich einfach. Das Erste, an das ich dachte, war, weil vor mir eine exotischer Fuchs saß, ironischerweise ein Einhorn. So wie man sie in Bilderbüchern immer beschrieben bekommt, mit strahlend weißem Fell und einem silbern glänzendem Horn.

 

   Es dauerte keine Sekunde, da hörte ich plötzlich neben mir ein lautes Schnauben und machte vor Schreck einen Satz zur Seite, obwohl ich noch immer im Gras saß. Hoffentlich hatte ich jetzt keine Biene zerdrückt!

 

   »Was zum Teufel!«, entwich es mir überrascht und ich starrte das Einhorn, das so plötzlich neben mir erschienen war, an. Es sah genauso aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ein silbernes Horn, weißes, wunderschönes Fell und sogar einen Stern auf der rechten Flanke, obwohl es nur ein flüchtiger Gedanke meinerseits gewesen war.

 

»Siehst du«, grinste die Kitsune mit leichter Belustigung in den Augen und musterte das Einhorn ebenfalls. »Hier kannst du alles haben was du willst.«

 

   Unbemerkt erwiderte ich ihr breites Grinsen und streckte meine Hand nach dem Einhorn aus. Es schnupperte an mir, schüttelte anschließend den Kopf und trabte davon. Ich schaute ihm nach und dachte unwillkürlich an Schnee, da das Fell des Einhorns schneeweiß gewesen war und wie ironisch Schnee in einer Umgebung wie dieser sein würde, da die Sonne hell und warm auf uns hinab schien.

 

   Plötzlich spürte ich etwas Kaltes auf meinem Arm und als ich hinunter blickte, sah ich gerade noch, wie eine Schneeflocke durch die Hitze meines Arms auf meiner Haut schmolz. Mein Blick wanderte gen Himmel und ich erkannte Schnee den Himmel hinunter wandern, obwohl die Sonne noch mit aller ihrer Kraft anwesend war.

 

   »Du solltest deine Gedanken unter Kontrolle haben«, lachte die Kitsune und erhob sich majestätisch.

 

   »Warte, wo willst du hin?«, fragte ich neugierig und stand ebenfalls auf. Sie konnte jetzt noch nicht gehen. Es wurde doch jetzt erst richtig spannend!

 

   »Ich gehe«, erwiderte die Kitsune mit solch einer Selbstverständlichkeit, dass ich kurz vollkommen irritiert war.

 

   »Aber wieso?«, löcherte ich sie weiter. Ihr Fell war mittlerweile von lauter kleinen Schneeflocken geziert und mir wurde durch den fallenden Schnee leicht kalt.

 

   Die Kitsune lief einfach weiter in die Richtung aus der sie gekommen war. »Du solltest jetzt auch gehen«, rief sie mir noch zu.

 

   »Aber wohin«, schrie ich ihr hinterher, doch diesmal antwortete sie nicht.

 

   Da war auf einmal diese unendliche Leere in mir, die sich auf meine Umgebung zu übertragen schien, denn plötzlich verblassten all die Farben und unter mir tat sich ein Abgrund auf, in den ich mit einem entsetzten Schrei fiel.

 

 

 

Dann wachte ich auf. Ich lag in meinem Bett, schweißgebadet. Der Regen prasselte noch immer von draußen gegen meine Scheiben.

 

Erleichtert atmete ich aus. Es war nur ein Traum! Und dennoch hatte es mich unendlich glücklich gemacht und es war, als sei ich für einen kurzen Augenblick der Realität entflohen.