Eine leise Stimme - Die Geschichte von Nathan

von

Ben Appelhans

 

Bangladesh, Herbst 2012, ein Land, wo Notstand herrscht. Es ist das achtgrößte Land der Welt. 150 Millionen Einwohner leben auf einer Fläche weniger als halb so groß wie Deutschland. In keinem anderen Land leben so viele Menschen auf so engem Raum. Täglich sterben viele Menschen, Alte, Erwachsene und Kinder. Sie leben in kleinen selbstgebauten Hütten aus Wellblech, Holz und brauchbarem Plastikmüll. Menschenrechtsverletzungen sind ein Bestandteil des täglichen Lebens. Die Textil-und Bekleidungsindustrie ist der größte Arbeitgeber.

 

Doch der Lohn ist zu gering.

Die Mütter gehen nähen. Die Väter gehen in die Gerberei. Aber auch die Kinder müssen arbeiten, damit die Familien leben können. Nathan ist 8 Jahre alt, er hat vier Geschwister. Seine Eltern und sogar zwei seiner Großeltern leben noch. Seine beiden kleinen Brüder sind vier und sieben Jahre alt. Der kleinere Bruder heißt Antu und der größere der beiden

Ismail. Seine große Schwester Lima ist 10 Jahre alt. Nathans großer Bruder ist zwölf und heißt Rajib. Alle Kinder arbeiten. Lima geht mit Mutter und Großmutter nähen, die kleinen Brüder Nathans drehen Zigaretten. Die Männer und älteren Jungs arbeiten in der Gerberei.

 

Der Großvater ist vom Gerben krank geworden. Deshalb muss die gesamte Familie jetzt noch härter arbeiten, um ihn wieder gesund zu kriegen. Nathan ist zu alt geworden, um weiter Zigaretten zu drehen, er schuftet jetzt auch täglich in die Gerberei. Morgens um acht Uhr beginnen Nathan, Rajib und ihr Vater mit der Arbeit, abends um sieben ist Arbeitsende, und das täglich. Sie stehen in Flip-Flops in giftigem Wasser und atmen giftige Dämpfe ein. Es gibt keine Sicherheitsvorkehrungen bei der Benutzung der Maschinen. Manch einer hat schon Gliedmaßen bei der Arbeit verloren, viele leiden unter Asthma. Es stinkt und die Abwässer verseuchen den nahegelegenen Fluss.

 

 

1 Jahr später -Bangladesh, Herbst 2013

 

Nathans Großvater ist nicht mehr gesund geworden und starb. Und auch der Vater starb recht überraschend, weil er durch hochgiftige Chemieabfälle aus der Gerberei vergiftet wurde und davon Lungenkrebs bekam. Da es nun keinen Versorger mehr gibt, fühlen sich Nathan und Rajib dafür verantwortlich, die Familie zu ernähren. Da sie keine Chance haben, in die

Schule zu gehen, müssen sie ihre Arbeit in der Gerberei immer härter und länger ausüben, damit sie die Familie ernähren können. Dies bezahlen auch sie mit ihrer Gesundheit.

 

Die Familie kommt gerade so über die Runden, da erleidet Nathan einen sehr schweren Unfall. Übermüdet von der schweren Arbeit, passt Nathan für einen kurzen Moment nicht auf und es kommt zu einem Unfall mit der Trockentrommel in der Gerberei. Er erleidet schwere Prellungen und eine

Kopfverletzung und entkommt nur knapp dem Tod.

Da Nathans Lohn ausfällt, bedeutet das für die ganze Familie Hunger und Leid. Seine anderen Familienmitglieder versuchen nun, noch mehr zu arbeiten.

 

Nathan muss alleine zu Hause liegen. Ihm kommt der Tag nun doppelt so lange vor, er grübelt und ist oft wütend und traurig, da er im Moment seiner Familie nicht mehr helfen kann.

Um die Schmerzen für einige Zeit zu vergessen, taucht er in eine Traumwelt ab, wo er in die Schule geht, Lesen, Rechnen und Schreiben lernt, wo er studiert und Arzt wird. Arzt zu werden ist sein größter Traum, weil er dann jeden Tag Menschen helfen kann, die von Giften krank geworden sind oder die verstümmelte Körperteile haben. Lungenprobleme, Hautkrankheiten, Durchfall, Verätzungen sind in seinem Umfeld an der Tagesordnung. Vor allem den Kindern will er helfen.

 

Obwohl es Gesetzte zum Schutz der Kinder geben sollte, arbeiten viele Kinder wie er täglich unter widrigen Bedingungen bis zu zehn Stunden auf Müllhalden, drehen Zigaretten, knüpfen Teppiche, nähen oder bearbeiten Tierhäute. Alles keine Arbeiten für Kinder! Nach vier Wochen schmerzen ihn immer noch einige Körperbereiche sehr, doch ohne sein Einkommen gerät die Familie immer mehr in Not.

 

Nathan fängt, immer noch humpelnd, wieder in der Gerberei an zu arbeiten. Seine Familie braucht das Geld. „Wenn wir Hunger haben, ist mir die schwere Arbeit egal!“, sagt er. Und so müht er sich, sein Bestes zu geben, für nicht ganz einen Euro pro Tag. Nathan ist neun. Nathan ist ein Jahr jünger als ich.

 

Und er ist nur einer von vielen, denen es so geht!

 

Von Klamotten über Schuhe bis zum Handy, bei den Sachen, die wir kaufen steckt wahrscheinlich fast überall Kinderarbeit drin. Nur selten wissen wir davon.

 

Marken wie H&M, Hollister oder Abercrombie und viele andere stehen im Verdacht Kinder für sich arbeiten zu lassen. Das muss besser werden. Kinderarbeit kann man in Ländern wie Bangladesh nicht völlig verbieten, aber die Arbeiten sollten an das Alter angepasst sein und es sollte bessere Bedingungen geben. Damit Kinder wie Nathan auch in einem Land wie

Bangladesh zur Schule gehen können, sollte die Arbeit nicht den ganzen Tag einnehmen. Außerdem sollte der Lohn besser sein, damit die Familien davon leben können, ohne dass die Kinder so viel schuften müssen. Deshalb sollten wir alle helfen, diesen Kindern ein Leben zu schenken.

 

Lasst uns versuchen, diesen Kindern eine Stimme zu geben – for a fair world.

 

(10 Jahre)