Erster sein ist nicht alles

von

Sebastian Schalk

Der Regen trommelte gegen das Fenster. Tim wachte auf. Heute war ein ganz besonderer Tag auf den er sich schon die ganze Woche freute. Es war der letzte Tag der Segelfreizeit und es sollte eine große Abschlussregatta auf dem See stattfinden.
Die ganze Woche hatten sie alle Segelmanöver geübt. Schnell weckte Tim seinen besten Freund Jan, der unter ihm schlief. Gemeinsam segelten sie die Flotte Lotte, so hieß ihr Boot.

Im Frühstücksraum war bereits ein Riesentumult. Besorgt schauten alle Kinder aus dem Fenster. Es regnete und es war sehr windig. Ihre Betreuer und der Leiter der Segelschule beratschlagten, ob man bei diesem Wetter die Regatta nicht besser absagen sollte. Doch Herr Blaubär, der Leiter der Segelschule, meinte, dass der Wind weniger werden sollte, im Laufe des Vormittags und dass die Kinder inzwischen gute Segler wären. „Das schaffen wir schon“, meinte Tim zu seinem Freund. „Lass uns schnell Regenklamotten holen und dann raus zum Boot.“
Als sie vor die Tür traten, regnete es immer noch aber der Wind war etwas weniger geworden. Schnell zogen sie noch die Schwimmweste über und dann machten sie ihr Boot fertig. Alle waren sehr aufgeregt, denn jeder wollte gern dieses Rennen gewinnen.


Tim und Jan stießen die Flotte Lotte vom Steg ab, setzten die Segel und segelten zur Startlinie. Hier waren schon viele andere Boote, die aufgeregt auf den Startschuss warteten.


„Peng!“, das war das Signal. Jan holte die Segel dicht und Tim steuerte. „Schau“, rief Tim, „wir sind gut, alle anderen sind hinter uns und kaum noch zu sehen.“ Der Regen prasselte immer noch vom Himmel und der Wind blies kräftig. „Das macht so viel Spaß“, rief Jan, „wenn wir so weitermachen, gewinnen wir.“
Doch was war das? Plötzlich sahen sie in der Ferne eine kleine Jolle, die gekentert war. Zwei Personen trieben hilflos im Wasser. „Schau mal, dort drüben!“, rief Tim. „Los segel dorthin, die brauchen unsere Hilfe.“ „Aber wir sind doch ganz vorne“, erwiderte Jan, „wir wollen doch den ersten Preis gewinnen.“ „Scheiß auf den Preis, los wende schnell!“ Ruckzuck segelten sie zu dem gekenterten Boot. Sie halfen den beiden Frauen, ihre Jolle aufzurichten und wieder ins Boot zu gelangen. Es war sehr schwierig, weil es sehr wellig war und der Wind immer noch kräftig blies. Sie mussten dabei aufpassen, nicht selbst ins Wasser zu fallen. Die beiden Frauen waren schon ziemlich erschöpft. „Danke, dass ihr gekommen seid. Ohne euch hätten wir es nicht geschafft.“ „Ja, ja schon gut“, meinte Jan, „jetzt müssen wir aber schnell zurück, wir sind mitten in einem Rennen.“ Sie verabschiedeten sich und segelten zurück auf ihren Kurs.


Inzwischen sahen sie die anderen Boote aber alle von hinten. „Schau, jetzt sind wir Letzter“, jammerte Jan. „Egal“, erwiderte Tim, „ich helfe lieber als zu gewinnen. Bei dem Wetter war es höchste Eisenbahn. Bis da jemand von Land gekommen wäre.“ „Ja, du hast ja Recht“. Sie versuchten noch alles um wieder nach vorne zu kommen, aber es gelang ihnen nicht. Als Letzte mit großem Abstand überquerten sie die Ziellinie. „Ha, ha, ha ihr seid wohl doch nicht so tolle Typen“, spotteten die Jungs vom Gewinnerboot. „Da war die Flotte Lotte wohl eine lahme Ente“. Alle Kinder lachten. Tim und Jan sahen sich traurig an.


„Ruhe!“, rief Herr Blaubär dazwischen. „Ich habe alles mit meinem Fernglas beobachtet. Jan und Tim haben sich sehr fair verhalten und einem anderen Boot in der Not geholfen, obwohl ihnen der Sieg fast sicher war. Das möchte ich mit einem besonderen Preis belohnen. Tim und Jan ihr dürft Ehrenmitglieder unseres Vereins sein und hier, wann immer ihr wollt, kostenlos segeln.“ Es war zuerst mucksmäuschenstill, doch dann klatschten alle Kinder. Tim und Jan waren sehr verlegen, aber dann bedankten sie sich und schauten sich glücklich an.

 

(12 Jahre)