Hallo Papa

von

Mira Herrgen 

Ich habe gelernt, dass ich nicht ja sagen muss. Ich habe gelernt, dass ich nichts machen muss, was ich nicht will. Ich muss zwar immer noch meine Zähneputzen, die ekeligen grünen Bohnen essen und ins Bett gehen wenn Mama es sagt. Aber niemand darf mich anfassen wenn ich es nicht will. Du darfst mich nicht mehr anfassen.

Du hast mir immer gesagt wie hübsch ich bin. Du hast meine blonden Haare gestreichelt. Wie ein Engel, hast du dann immer gesagt, du bist mein Engel. Das hat mir gefallen. Ein Engel zu sein.

Und du hast mir immer tolle Geschenke gemacht. Mein liebstes ist das Einhorn, dass mit dem pinken Haar und dem goldenen Stern auf der Stirn.

Mama wollte es mir wegnehmen aber da habe ich geschrien und jetzt liegt es immer neben mir, lächelt mich an und sagt, dass alles gut ist. Das hast du früher auch immer gesagt, Erinnerst du dich? Wenn ich geweint habe und gesagt habe, ich will nicht. Du hast mich gestreichelt, mir gesagt wie hübsch ich bin und dass es keinen Grund gibt zu weinen. Alles ist gut. Aber dir geht es nicht gut und ob ich nicht wolle dass es dir wieder besser geht. Dich hat es verletzt wenn ich dich abgewiesen habe. Ich wollte ja, dass es dir gut geht. Und du warst immer so glücklich und zufrieden wenn ich gemacht habe, was du wolltest. Aber ich war es nicht. Mir hat das nicht gefallen .Seit es angefangen hat habe ich mir immer gewünscht, dass du aufhörst. jeden Mittwochmorgen habe ich gehofft, dass du vergisst abends in mein Zimmer zu kommen. Die Abendessen waren immer lustig. Du hast mich immer zum Lachen gebracht, damit ich mein Gemüse esse und Mama hat dann auch immer gelacht. Dann haben wir gespült, denn Spülmaschinen sind nicht umweltfreundlich, hast du immer gesagt. ich hab immer abgetrocknet. Mama ist dann in die Abendschule und ich bin in mein Zimmer und habe mit meinen Puppen gespielt. Mein zweitliebstes Geschenk. Dann bist du in mein Zimmer gekommen. Leise. hast mir beim Spielen zugeschaut. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht .Ich hab dich gefragt ob du mitspielen willst, du wolltest aber lieber zuschauen. Du hast dich neben mich gesetzt. Bist immer näher gekommen. Hast mich gestreichelt. Und du hast noch mehr gemacht, aber du hast mich schwören lassen, dass ich nicht darüber rede oder daran denke. Also mach ich es nicht. und du warst stolz auf mich weil ich so ein braves Kind war. Seit diesem ersten Tag ist viel Zeit vergangen. Ich hatte Geburtstag,  ein Fahrrad bekommen und  eine Narbe am Knie, weil ich mit dem Fahrrad in einen Busch gefahren bin. Ich musste mit drei Stichen genäht werden und danach sind wir ein Eis essen gegangen. Vier Kugeln durfte ich haben, weil ich so ein tapferes Mädchen war. Dann hast du mich für einige Zeit in Ruhe gelassen und ich dachte schon, es hätte aufgehört. Aber du bist wieder gekommen. Bis zu dem Tag, an dem sich alles geändert hat .An dem Abend ist Mama früher gekommen. Sie hatte vergessen, dass die Abendschule ausfällt. Als sie dich gesehen hat, mit mir, da war sie zuerst ganz still. Sie hat ganz komisch geschaut, ist dann durchs Haus gerannt, hat dich, du warst auch ganz aufgebracht, angeschrien Sachen geworfen und Leute angerufen. Und geweint hat sie auch. Du hast mich immer gewarnt das Mama wütend auf mich würde, wenn ich es ihr erzählte. Dabei habe ich es ihr gar nicht erzählt. Sie hat es selbst herausgefunden. Jetzt bist du weg. Wir wohnen in einer kleinen Wohnung, ganz weit weg in einer großen Lauten Stadt wo wir niemanden kannten weil alle Leute geredet haben und Mama das nicht mochte. Alle  die wir kannten haben uns beide immer mit großen Augen angeschaut. Mama hat das nicht lange ausgehalten. Wir machen einen Neuanfang du und ich zusammen, was hältst du davon. Ich habe zwar genickt und gelächelt, aber nicht richtig verstanden, was sie damit meinte. Neu Anfangen.

Wir haben uns mit der Nachbarin angefreundet, sie hat eine Tochter mit der ich manchmal spiele. mein Zimmer hat ein großes Fenster und wir haben sogar eine Spülmaschine. Jetzt brauche ich nicht mehr abzutrocknen. Kommst du deswegen nicht wieder? Bist du Sauer wegen der Spülmaschine?

Sie haben mir gesagt du wärst eine Weile weg und ich könne dir schreiben wenn ich will. Ich hab gesagt ja ich will. Hoffentlich freust du dich. Tut mir leid, dass jetzt alles anders ist. Ich wollte zwar immer, dass es aufhört, aber jetzt sind alle traurig. Du bist weg, Mama weint jede Nacht und dann weine ich auch. Entschuldige bitte. Ich wollte niemanden verletzen.

Ich habe gelernt, dass mich niemand anfassen darf, wenn ich es nicht will. Aber gerade wünsche ich es mir. Eine Berührung die sagt,

Alles ist gut.

(15 Jahre)